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Im Motopark Oschersleben

„Es liegt was in der Luft: Ein dumpfes Dröhnen, böses Grummeln, wütendes Röhren nähert sich von links, schwillt an, glitzernd taucht der gelbe Opel auf der Geraden auf, brettert heran, dreht auf, donnert ohrenbetäubend vorbei, schon ist er nur noch fernes Brausen, bohrt sich flimmernd wieder in die Kurve - einer nach dem andern, nur Sekundenbruchteile auseinander, rasen die zwanzig Mercedes-, Opel- und Audi-Wagen an der Zuschauertribüne vorüber, wie heisere Hornissen, die am Vorabend ordentlich einen draufgemacht haben.
Das zweite Rennen im "Deutschen Tourenwagen Masters", der neu etablierten "Bundesliga" des Motorsports, ist der Höhepunkt dieses Wochenendes im Motopark Oschersleben. Die Wettbewerbe der bunten Rennflöhe namens "Lupo" oder Wagen der Formel 3, die an halbierte Bananen erinnern, bleiben da bloß Beiwerk.
Wie ein modernes Ritterlager erheben sich die weißen Zelte, die schwarzen Trucks und grünen Wälle inmitten der Äcker und Rübenfelder der flachen Magdeburger Börde.
In den Gassen des Fahrerlagers schrauben Mechaniker in schwarz-gelben Overalls an aufgebockten Autos, kleine Jungs schleppen glücklich große Reifen weg, Blondinen in rotem Leder löffeln Erbsensuppe und lächeln überlegen - es gibt sie also doch, die "Boxenluder".
Wo immer eine freie Fläche war, prangt jetzt ein Firmenlogo, damit kein Zweifel bleibt, wer sich das Spektakel viel Geld kosten lässt: Das Bier ist da. Die Handys. Männermagazine, Kräuterschnaps und Benzin.
Und natürlich herrscht kein Mangel an Souvenirs: Eine Versicherung verteilt Baseballkappen umsonst, silberen Windjacken und Modellautos dagegen kosten.
Aufdrehendes Röhren - kesseln muss das, und das tut es! Das Rennen ist in vollem Gang. 15 der insgesamt 28 Runden sind zurückgelegt. Die besten Fahrer tauchen jeweils nach einer Minute 27 Sekunden plus/minus ein paar Zehntel wieder auf der Zielgeraden auf.
Der Zuschauer aber, ob auf den grünen Schalensitzen der Tribünen, den Betonstufen der Zielgeraden oder im eigenen Campingstuhl auf der Wiese im Nordbereich, erlebt immer nur einen Bruchteil des Geschehens mit. Einigermaßen den Überblick behält er nur dank der Großleinwände und des Sprechers: ".. jetzt lässt der Bernd aber brutal die Kuh fliegen - und da zeiht er vorbei, da iss er vorüber an ihm ...ach du liebe Zeit, was wird der Manuel jetzt das Lenkrad vor Wut verknoten..."
Seit 1997 gibt es den Motopark. Moto-Cross-Sport spielte in Oschersleben schon zu DDR-Zeiten eine große Rolle. Und nach der Wende, die das ehemalige Maschinebau-Städtchen 4500 Arbeitsplätze kostete, konnte man eine solche Attraktion gut gebrauchen. In der Verwaltung und im Hotel arbeiten 90 Menschen, und wenn sechs-, siebnmal im Jahr große Rennen stattfinden, verdienen sich viele Leute als Streckenposten, Parkwächter und Eisverkäufer ein paar Mark dazu. Vor allem aber profitiert die Gastronomie: Drei Wochen vor einem Rennen ist fast in der ganzen Region kein Bett mehr zu bekommen. Und wenn die Motorradfahrer zu einem Treffen einfallen, räumen sie schon mal die Paletten der Supermärkte leer.
Verständlich, dass die Verantwortlichen keinen Grund zu Selbstzweifeln sehen. Ob Autorennen im Zeitalter explodierender Spritpreise und eines wachsenden Ozonlochs nicht doch ein Anachronismus sind? "Je mehr das Autofahren auf der Straße eingeschränkt wird", sagt der Pressesprecher des Unternehmens fast triumphierend, "desto mehr Zulauf haben wir hier. Wenn man sich selbst nicht mehr austoben kann, will man wenigstens dabei zusehen."
Die letzte Runde ist inzwischen angebrochen. Der weiße Mercedes hat einen satten Vorsprung herausgefahren. Da - in der Schleife am Hotel kommt er einen Tick von der Fahrbahn ab, rutscht ins Gras, trudelt auf Kies, dreht sich, schleudert, fängt sich aber sofort wieder und kommt zurück auf den Asphalt - gerade noch rechtzeitig vor dem heranbrausenden Opel, dessen Kühler ihm jetzt fast auf dem Heck sitzt, doch konzentriert bringt er die letzten paar hundert Meter zu Ende und fährt winkend, unter dem Jubel der Zuschauer, dem Lärm der Tröten und dem Schwenken der Fahnen über die Ziellinie.
Und während die drei Sieger ein paar Minuten später aufs Treppchen steigen und sich mit deutschem Sekt beduschen, wie es der Brauch will, wandert der Großteil der 45 000 Zuschauer schon ab. Die meisten sind mit dem Auto gekommen. Über zwei Stunden werden sie jetzt im Stau stehen, ehe sie allein die 25 Kilometer bis zur Autobahn Berlin-Magedburg hinter sich gebracht haben. Die automobile Wirklichkeit hat sie wieder.

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