Startseite
Frisch in Arbeit
Die taz-Kolumne
Blätterwald
Weltweit
Fundstück
Buch & Beifall
Post

Mehr unter Frisch in Arbeit.
Rezensionen unter Buch & Beifall - Gut gefunden
Nach dem Sturm
Wie Honduras Anschluss an den internationalen Tourismus finden will


"'Mitch' war furchtbar. 'Mitch' hat viel Leid verursacht. Aber laßt 'Mitch' jetzt endlich Geschichte sein!"
Das fordern, so oder ähnlich, der Hotelier in Tela und der Führer in Copán, der Reiseveranstalter aus San Pedro Sula wie die Managerin im Tourismus-Institut von Tegucigalpa. Ärgerlich, und ein wenig trotzig auch.

Der Unmut all jener, die vom Fremdenverkehr leben, ist verständlich. Auch heute, mehr als ein Jahr später, fragen ausländische Journalisten vor allem nach Seuchen - die ausgeblieben sind. Nach Obdachlosen - die immer noch kein Dach über dem Kopf haben. Nach Spendengeldern - die zum Teil in falsche Taschen geflossen sind. Kurz: Nach allem, woran Honduras noch krankt. Berichte über reparierte Straßen, ausgebesserte Brücken und gesäuberte Strände können da nicht konkurrieren.

Wieviel Opfer der Hurrican Ende Oktober 1998 gefordert hat, wird wohl nie ganz geklärt werden. 5657 Menschen wurden für tot erklärt, aber rund 8000 gelten seitdem als vermisst. Die Schäden an Häusern, Flussbefestigungen, zerstörten Feldern und vernichteten Ernten belaufen sich auf geschätzte 3,8 Milliarden US-Dollar.

Auf die große Katastrophe folgte das, was aus Sicht von Touristikern immer mindestens eine mittlere darstellt: Der Imageschaden.

"Nur zehn Prozent der touristischen Infrastruktur waren zerstört", behauptet Digna Lorenzo de Dominguez vom Nationalen Tourismus-Institut. "Spätestens nach zwei Monaten konnte man wieder reisen. Aber das hat niemanden interessiert. Wir blieben 'Mitch' - sonst nichts."
Die allgemeine Klage entspringt durchaus nicht nur privatem Geschäftsinteresse, sondern einem verbreiteten Gefühl: Honduras darf nicht am Tropf der internationalen Finanzhilfe verkümmern. Das Land muss wieder Geld verdienen. Muss mit den Pfunden wuchern, die es hat - gerade im Tourismus.

Ein steiniges, partiell mit Nebel- und Nadelwäldern bedecktes Hochland - das ist Honduras im Inneren. Nach Norden läuft es in Tälern mit dichtem Regenwald aus, vor denen sich die weißen Sandstrände der Karibik entlangziehen. Im Osten erstreckt sich die feuchte Savanne der Moskitia. Und an der schmalen Südküste verfängt sich der Pazifik in Mangrovensümpfen.
Dieser Landstrich, so groß wie die neuen Bundesländer, doch nur mit einem Drittel der Einwohner, vereinigt, gewissermaßen in verdichteter Form, die Attraktionen, die ganz Mittelamerika auszeichnen: Wunderschöne Tauchgründe am zweitgrößten Korallenriff der Welt. Weite, unberührte Naturräume. Und eine reiche Mayakultur - wie etwa die Ruinen von Copán.

Wie dicke Adern aus Beton überspannen die mächtigen Brettwurzeln der Ceiba-Bäume die grauen Steinquader. Ein Jahrtausend lang haben sie die Mauern und Treppen der einstigen Palast- und Tempelanlage auseinandergetrieben und übereinandergeworfen, bis der amerikanische Forscher John Lloyd Stephens 1839 die vergessene Ansiedlung tief im Dschungel wieder entdeckte, die die "Griechen Amerikas" zwischen dem 4. und 9. Jahrhundert n.C. unserer Zeitrechnung errichtet hatten.

Seitdem haben die Archäologen gute Arbeit geleistet. Über 100 Stelen legten sie frei, jene alleinstehenden Säulen, in die die Maya-Herrscher ihre persönlichen Daten und die Zeichen für besondere Ereignisse eingravieren ließen - steinerne Tagebücher, im Fünfjahresabstand verfaßt. Eine über und über mit Bilderschrift verzierte Treppe schaufelten sie aus dem Geröll, setzten Steinhaufen zu Pyramiden zusammen, die hier einst gestanden hatten und gruben unter manchen Tempeln andere aus, die gewissermaßen "beerdigt" worden waren, wenn es den Mächtigen an der Zeit schien, sich und die Götter mit einem neuen Monument zu ehren.

Der Tempel "Roasalila" ist ein solches "bestattetes" Bauwerk. Dank eines Tunnels können die alten Mauern unter dem Gebäude Nr. 16 besichtigt werden, mit Hilfe eines Führers und viel gutem Willen lassen sich die verwitterten Furchen sogar als Vogelkrallen, Schlangenkiefer oder Hasenköpfe deuten: "Ach ja, jetzt seh'ich es auch!"

Doch "Rosalila" feierte eine eindrucksvolle Wiederauferstehung. Als Nachbau in Originalgröße, an dem zwei honduranische Künstler drei Jahre lang meißelten, schmückt er das Zentrum des "Museo Lítico": Ein in sattem Rot, Grün, Gelb und Weiß leuchtender Quader, über und über mit Fresken von Fabelwesen, Vögeln, Schlangen und zähnefletschenden Gesichtern bedeckt. Was für puristische Wissenschaftler ein Stück Disneyland-Archäologie sein mag, stellt für Laien eine wunderbare Imaginationshilfe dar: Wie ein schreiend bunter Farbklecks, schon von weitem erkennbar, muss diese Stadt einmal im Grün gelegen haben! Ein Erdbeben ließ 1998 das Dach des Museums einbrechen. Jetzt brennt die Sonne durch das Loch und der Regen klatscht auf den Stuck und das moderne Stück Maya-Architektur erscheint noch viel lebendiger. 'Mitch' dagegen - 'Mitch' ließ Copán fast unbehelligt.

Und dann ist da noch, wieder draußen auf dem Ballspielplatz, der "Altar L", dieses halbfertige Ausrufezeichen hinter den steinernen Sätzen von Copán. Die Jahreszahl, 822 n.C. nach unserem Kalender, schlug sein Schöpfer noch in den Stein, dann ging er weg und ließ die restlichen zwei Seiten dieses letzten Klotzes unbehauen. Eine Warnung aus frühen Tagen mit langer Haltbarkeitsdauer, meinen zivilisationskritisch bewegte Zeitgenossen von heute: Seht her, was passiert, wenn immer mehr Adlige ihre Untertanen immer heftiger ausbeuten! Wenn der Boden sich erschöpft, die Erde erodiert, die Menschen hungern... wenn eben, mit einem Wort, eine Gesellschaft aus den Fugen gerät! Genau das geschah hier. Sagen die Steine, die Knochen, die Zeichen. Copán - ein Menetekel in Stein.

Auf der Straße nach Tela wird der Besucher nachdrücklich in die Gegenwart zurückgeholt: Ausbeutung war kein Privileg früherer Zeiten. In "Zip del Porvenir" ist Schichtende. Tausende strömen aus dem Tor der großen Textilfabrik, Garküchen haben die Feuer angeheizt, Dutzende der gelben, ausrangierten Schulbusse aus den USA warten am Straßenrand. Firmen wie Fruit of the Loom, Dickies und Wrangler lassen ihre T-shirts und Baumwollhosen in den "maquilas" von Honduras zusammennähen. Das Land ist heute die fünftgrößte Textilveredelungswerkstätte der Welt. Über 250 Firmen in mehr als 20 Freihandelszonen profitieren von Steuerfreiheit, uneingeschränktem Gewinntransfer und dem Mindestlohn von 75 Dollar pro Monat, der in Mittelamerika nur noch von Nicaragua unterboten wird. 1998, als die Bananenernte ausfiel, brachte die höllische Schinderei in den "sweat-shops" das meiste Geld ins Land.

Nach wie vor aber leben drei Viertel der Menschen von der Landwirtschaft. Sie pflücken in den Plantagen Bananen oder Kaffee, immer noch die wichtigsten Exportgüter, oder ringen einem Stück eigenen oder besetzten Boden ein paar Säcke Mais und Bohnen ab. 80 Prozent leben in Armut, 60 Prozent sind Analphabeten, statt zur Schule zu gehen, verkaufen Kinder Zeitungen, regeln an Baustellen den Verkehr oder schichten Steine zu Dämmen auf.

Der Tourismus soll Abhilfe bringen - Wunderglaube in so vielen Armenhäusern dieser Welt. Immerhin hatte er sich in den letzten zehn Jahren langsam aber stetig entwickelt. 1998 stieg die Zahl der Besucher auf insgesamt 405 000, die meisten aus den Nachbarländern und den USA - miteingerechnet freilich 84000 Kreuzfahrer und die Armada der ausländischen Hilfskräfte, die Ende des Jahres die Hotels in und um die Hauptstadt Tegucigalpa bis unter die Dächer füllte.
164 Millionen Dollar brachte die "Weiße Industrie" in die Kassen und war damit zum drittwichtigsten Devisenbringer herangewachsen, noch vor der sich ausweitenden Shrimpzucht. 21 000 Arbeitsplätze hingen direkt, 31 500 indirekt davon ab.

Mitte der 90er-Jahre hatte die sogenannte "Porter-Studie" des neoliberalen "Instituto Centroamericano de Administratión de Empresas" (INCAE) die wirtschaftliche Zukunft der Länder Mittelamerikas untersucht. Ihre Chancen lägen vor allem auf den Feldern Land- und Forstwirtschaft sowie dem Tourismus, behaupteten die Wissenschaftler.
Die honduranische Regierung folgte dem: Sie ernannte 1998 einen Tourismusminister, gliederte das Tourismus-Institut aus dem Wirtschaftsministerium aus, versah es mit mehr Geld und verordnete ihm enge Zusammenarbeit mit dem Privatsektor.
Seitdem kommt auch die mittelamerikanische Integration etwas schneller voran, dank der um sich greifenden Einsicht, dass die Region nur als Ganzes genügend Mittel aufbringen und Interesse erwecken kann, um etwa auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen.
Dem Verband "Mundo Maya", der 74 Kulturstätten in Mittelamerika bewirbt, gehört Honduras neben Belize, Guatemala, El Salvador und Mexiko schon seit zehn Jahren an. In "Fodestur", einem Projekt der mittelamerikanischen SICA und der deutschen GTZ, werden seit kurzem weitere übergreifende "touristische Produkte" wie etwa eine "Mais-Straße" entwickelt. Auf der ITB 1999 trat Mittelamerika zum erstenmal mit einem gemeinsamen Informationsstand auf. Und ebenfalls gemeinsam soll in diesem Jahr ein Büro in Madrid, eventuell auch ein weiteres in Hamburg eröffnet werden.

Auf dem Tourismus ruhen große Erwartungen - auch die illusorischen. Der Tourismus benötigt keine Pestizide, wie der Bananen- und Kaffeeanbau, so die Hoffnung. Er zerstört keine Mangrovenwälder - wie die Shrimpzucht. Er rettet, im Gegenteil, die Natur: Statt den Regenwald niederzubrennen, schützen die Leute ihn, weil er langfristig ihr Einkommen sichert.
Dass es den Tourismus freilich immer dahin zieht, wo die Natur am schönsten ist, beweist der nun schon sieben Jahre währende Streit um den Bau einer Hotelanlage im Nationalpark "Punta Sal". Dass er den Ausverkauf des Landes beschleunigt, zeigen die Auseinandersetzungen um eine Reform des Verfassungsparagraphen 107, nach dem Ausländer bisher keine Strandgrundstücke kaufen dürfen. Und dass anstelle der honduranischen Kultur plötzlich eine ganz andere stehen könnte, demonstriert das Beispiel Roatán.

Roatán, eine der drei "Islas de Bahía" ist das Tauchparadies des Landes. Auf Roatán gibt es das "Fantasy Island Beach Resort", die "Coleman Bakery", "Rick's American Cafe" und die "Half Moon Bay Cabins". Auf Roatán stehen gelbgestrichene Holzhütten, Paläste wie aus dem Ankerbaukasten mit grauen Säulen, sowie zahlreiche Schilder "For sale". Denn für die Inseln von Bahia gilt Verfassungsparagraph 107 nicht. Deshalb erhält man in West Bay auf Roatán für 180 000 Dollar eine Eigentumswohnung, ein luftiges Appartement direkt am Strand, samt einer Küche mit Marmorfussboden. Auf Roatán hat der Immobilienmakler schon am Flughafen ein Büro. Und auf Roatán gibt es Geld: Die ohnehin nicht so dramatischen Schäden wie anderswo, die "Mitch" angerichtet hat, sind inzwischen fast alle beseitigt.


"Anthony's Key Resort" ist so etwas wie das Paradestück von Roatán. Eine palmenbestandene Lagune, Bungalows auf Stelzen direkt im türkisen Wasser und weiße Boote, die die Taucher zum Riff mit den bunten Barschen, den Barrakudas und Muränen bringen. Tauchschule, Dekompressionskammer, Kamera-Shop, Unterwasser-Videoservice - alles voranden. Und als Krönung begleitet ein zahmer Delphin seine menschlichen Unterwasserfreunde hinaus auf die offene See. "Flipper"-Ambiente für tausend Dollar die Woche.

"Antony's Key Resort" hat auch ein hübsches Museum. Pfeilspitzen aus Obsidan, Keramikschalen und alte Ginflaschen erinnern an all die Völkergrüppchen, die der Insel ihren Stempel aufgedrückt haben: Von den indianischen Lenca und Paya über spanische Eroberer, englische Piraten, schottische Siedler bis zu den Garifuna, den afroindianischen Nachkommen von Westafrikanern, die vermutlich einst von einem spanischen Sklavenschiff flüchteten. Und schließlich die Dollarbesitzer aus Texas und Florida.

Fehlt bloß noch der Abstecher in das Naturparadies Honduras. Von Tela aus, auf dem Festland, bringen kleine Boote die Touristen zum Nationalpark "Punta Sal". Ein Landstrich als Fototapete: Vor grünen Palmen, braunen Hütten und weißem Strand gleiten wendige Boote durch die Brandung, Garifunafischer bei der Arbeit, umschwirrt von Kormoranen und grauen Pelikanen. Doch das Paradies hat Schönheitsmängel, meint Flabio Irías, der Führer. Alle Palmen sind von einer Viruskrankheit befallen und werden innerhalb der nächsten zwei Jahre eingehen. Die Kormorane haben sich so vermehrt, dass Waschbären als Eierräuber eingesetzt werden. Und die Hütten stehen erst seit kurzem da: Die alten hat 'Mitch' weggefegt.

Der Regenwald "Punta Sal" ist eines von 104 geschützten Gebieten. 25 Prozent des Landes sind inzwischen als Nationalpark, Biosphären-, Bio- oder Wildreservat ausgewiesen. Was freilich nicht garantiert, dass darin wirklich niemand mehr jagt oder Flächen abbrennt, um Weideland zu schaffen. Eine Holztafel erinnert an Jeanette Kawas, eine Umweltschützerin aus der Gegend, die vor zwei Jahren erschossen wurde. "Im Auftrag der Großgrundbesitzer", sagt Flabio. "In der Natur steckt immer noch sehr viel Geld. Ein Kopf ist lächerlich billig dagegen."

Ein Fußpfad führt in den Dschungel. Mangrovenkrebse huschen unter den Füßen davon, Webervögel umschwirren ihre klumpigen Nester und Flabio berichtet von den Schwierigkeiten, Naturschutz und die Traditionen der Waldbewohner in Einklang zu bringen: "Arasuppe! Die Leute glauben, dass eine Suppe vom grünen Ara ihre Kinder schneller sprechen lehrt. Aber auf 100 rote kommt ein grüner Ara. 'Wenn es schon sein muss', sagen wir ihnen deshalb, 'nehmt wenigstens rote'."

Auch Natur lebt durch Geschichten. Auf dem zweistündigen Spaziergang durch das flirrende Grün erzählt Flabio so fesselnd, dass der Besucher ungeheuer neugierig wird auf den ganzen großen Rest des Landes, in dem über 700 Arten von Orchideen wachsen und Ameisenbären, Harpyien, Schlangen, Ozelots und Leguane zuhause sind.

Honduras muss auf dem übervollen "Weltmarkt der Destinationen" seine Nische finden. Nicht im vergeblichen Warten auf die Ankunft der großen Chartermaschinen aus Europa liegt seine Chance, sondern im kleinen, feinen Segment des Ökotourismus.
Auch wenn, und da schließt sich der Kreis, 'Mitch' gerade in diesem Bereich schlimm gewütet hat: An der Karibikküste spülte der Sturm neue Garifuna-Gasthäuser weg, im Moskitia-Gebiet zerschlug er Einbäume, zertrümmerte die Unterkünfte kleiner Koooperativen und zerstörte in kürzester Zeit eine ohnehin bescheidene Infrastruktur, die über Jahre hinweg sorgfältig aufgebaut worden war - und damit so manche Hoffnung, die Dollars ausländischer Besucher könnten bald die paar Lempiras ersetzen, die etwa der Verkauf eines Tukans an den Tierhändler einbringt.

Die "offiziellen" touristischen Attraktionen von Honduras mögen wieder intakt sein. An vielen anderen Stellen dagegen werden sie noch lange schmerzen, die Wunden, die 'Mitch' dem Land geschlagen hat.

- zurück -