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Zander für Wallander
Das südschwedische Schonen setzt auf Feinschmecker


Der Schwede an sich, man weiß es, ernährt sich bevorzugt von Milch und Honig, von Knäckebrot und Krebsen. Er trinkt Quellwasser und, sowie er die Grenzen seines Landes überschreitet, Alkohol in jeder Form, bis er nicht mal mehr abwinken kann. Was ihm freilich ohnehin nicht in den Sinn gekommen wäre.

Der Schwede konkret, dieser Schwede, Lennart Brummer mit Namen, trägt gerade einen Teller herein, auf dem eine gebackene Lachsscheibe auf einem Bett aus grobgehacktem, mit Rotwein und Ingwer gedünstetem Mangold und Chicoree thront, geziert vom roten Segel einer gerösteten Scheibe Parmaschinken. Das ist schon mal nicht übel, und vielleicht hätte ja auch Kurt Wallander...

Als Brummer anschließend seinen neuesten Einfall präsentiert, ein Parfait aus Roquefort und Hagebuttenmus an gebackener Birne, ein Parfait, das man nach dem ersten Löffel ganz herzinniglich ein "Parfaitchen" nennen möchte, prasselt Beifall auf ihn nieder. Beifall, der natürlich auch ein wenig den Klatschenden selber gilt, denn sie haben mitgeschnippselt, mitgeschält, mitgerieben, um ein Gespür dafür zu kriegen, wie es zugeht in der offenen Küche von "Brummers Kro" in Tomelilla. Und, ganz nebenbei, haben sie munter dem süffigen Cider aus der Region zugesprochen. 2,5 Prozent Alkohol - da lacht der Schwede, und die Gäste schenken sich gern nach.

Die, sechs deutsche Journalistinnen und Journalisten, sind auf dem besten Weg, der kulinarischen Kultur Schonens ein wenig näherzutreten.
Wie bitte? Kulinarische Kultur? Fette Fritten, pampige Pizzen - das ist es doch, womit man hier sein Sodbrennen heizt, wenn es statt Milch, Honig und Knäckebrot mal was Warmes sein soll. Zumindest wenn man Kurt Wallander heißt und als Kriminalkommissar von Henning Mankells Gnaden in den Diensten der Stadt Ystad steht. Kompletter Unsinn, sagen die Tourismusplaner: Gärten, Golfanlagen und eben gehobene Gastronomie - die zeichnen den südlichen Teil Schwedens vor allem aus. Und das möge die deutsche Urlauberwelt gefälligst zur Kenntnis nehmen.

Aber natürlich gibt es sie, die Frittenbuden und die Pizzerien. Und es gibt auch die Straße, in der Wallander wohnt, und das niedrige Polizeirevier von Ystad an der Ausfahrtsstraße. Wer will, kann die ganze Mankellsche Krimiwelt auf einer Rundfahrt durch Ystad mit einem alten Feuerwehrauto Station für Station näher kennenlernen.
Hier und heute aber interessieren nicht die literarischen, sondern die kulinarischen Früchte dieses flachen Landstrichs mit den Kiefernschonungen und den kleinen Städten samt ihren pastellfarbenen Häusern.

Der Fisch, vor allem der Hering, hat den Menschen hier jahrhundertelang das Überleben gesichert. Und Fisch, vor allem Hering, sehen, riechen und schmecken die Besucher in der Räucherei von Ulla Trenk in Smygehamn: Goldene Makrelen, braungelben Hornhecht, schwarzbraun schimmernden Aal. Hinterm "Drömsill", dem Traumhering, verbirgt sich ein Matjes in Mayo, und der "Brantevik-Hering" ist in seiner Marinade aus Zwiebeln und Essig, Zucker und Kräutern zu aromatisch milden Appetithappen herangereift.

Leer liegt jetzt der wenig bebaute Ostseestrand, Krähen stolzieren über die abgeernteten Zuckerrübenäcker, am weiten Himmel türmt sich Grau auf Grau. Österlen, der östliche Teil Schonens, ist Apfelland. Zwei Drittel aller Äpfel Schwedens wachsen hier. Und also findet in Kivik jeden Herbst ein Apfelmarkt statt. Emma Karpp-Laggar hat das diesjährige Festbild gestaltet: Eine Schale roter Äpfel vor gelbem Hintergrund. Rund 30 000 Früchte stecken an Nägeln auf der vielleicht sechs mal sechs Meter großen Tafel am Hafen. Hier ist die Heimat des Cider. Kristina Levinsson, ganz große blonde fröhliche Schwedin, kredenzt sauer-fruchtigen Boskop-Cider. Die Version aus Williams-Birne schmeckt etwas herber. "Kiviks Musteri" verarbeitet jedes Jahr 1500 Tonnen Gravensteiner, Cox, Ingrid Marie und Boskop zu Saft, Cider oder Apfelmus. 40 Millionen Tetra-Paks und sechs Millionen Flaschen sind das. Ein Schaugarten präsentiert säuberlich in Reih und Glied 70 verschiedene Apfelsorten, in einer simulierten Abfüllanlage klirrt und blinkt und schäumt und gluckert es gar putzig. Die wirkliche Mosterei bekommt kein Außenstehender zu sehen.

Hier haben sie es mit den Erntefesten. Spargel, Wein, Hering - jedesmal wird ein Event daraus. Und nunmehr sind die Vögel dran. Zum Martinstag und zu Weihnachten schlägt der schonischen Gänse letzte Stunde. Tommy Ale mit dem struppigen Bart, Chef des Hotel "Maritim" in Simrishamn, bringt sie knusprig mit Rosenkohl und Kartoffelplätzchen auf den Tisch. Die bodenständige, nach Zimt und Nelken duftende Schwarzsuppe davor, angerührt aus dem Blut der Dahingeschiedenen, findet deutlich weniger Freunde. Während der heiße Apfelkuchen mit Vanillesoße sich prächtig eignet, etwa noch verbliebene Lücken im Magen auszupolstern.

Fleisch auf den Tisch zu Weihnachen? Das war nicht immer so in Schweden, erklärt am nächsten Morgen Lena Alebo, die Leiterin des Heimatmuseums von Simrishamn. Stockfisch, Milchreis, Roggenbrot, Pfefferkuchen und Bier, darum versammelte sich die Familie am Heiligen Abend. Fleisch stand zwar daneben - aber nur zur Zierde und als Appetitmacher: Gegessen wurde es erst am 2. Feiertag. Aus den Brustbeinen der Gänse bauten die Kinder mithilfe von Schusterpech und einem Hölzchen "Springgänse" - Lena macht es vor, erschreckt sich königlich und freut sich diebisch, als die Vorrichtung nach wenigen Sekunden tatsächlich überraschend in die Höhe springt. Mindestens so stolz ist sie auf die Sammlung alter Bauerntruhen, Klöppelmuster und Trachten. Und die Ausstellung unterm Dach, die die Geschichte der Fischerei an der Küste dokumentiert - ein Versuchshappen liefert die sinnliche Komponente dazu: Panierter, frischgebratener Salzhering ist es, und hinterher ein Stück schonischen "Spettekaka", eine bröckelige Krone aus wachsfarbenem Baiser.

Seit geraumer Zeit gilt es unter Schweden als schick, in Österlen zu wohnen. Die Künstler haben die Region für sich entdeckt und öffnen zur Kunstwoche an Ostern auch ihre Ateliers. Wo Geld ist und sich trendbewusste Menschen tummeln, wächst auch die Gastronomie, an Quantität und Qualität. Ab nächstem Jahr bieten 25 der besten Restaurants das "Eßvergnügen Schonen" an. Darunter auch der "Bykrog" in Brantevik. Sören Hennrikson, der langhaarige blonde Chef, dem ganz offensichtlich seine eigene Küche sehr mundet, verzichtet wohlweislich auf die Mithilfe der Journalisten. Und siehe da, alles gelingt aufs Trefflichste: Die Terrine aus frischgeräuchertem Aal, begleitet von einem duftigen Tokaier aus dem Elsass. Und gleich danach jenes große kulinarische Kleinkunstwerk: Das saftige Zanderfilet beherrscht einen Hügel aus Kartoffelpüree mit Apfelstückchen. Gekrönt wird es von einer Haube aus Speck und Pfifferlingen, begleitet von einer Rotweinsoße auf Steinbuttbasis, die man nach dem ersten Löffel herzinniglich "Sößchen" nennen möchte und sich am liebsten gleich in der Suppenterrine servieren ließe - Mensch, Wallander, nun gehen Sie doch mal richtig essen!

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