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Dienst am Watzmann

Unterwegs mit Rangern: Wie im Nationalpark Berchtesgaden Naturschutz und Tourismus Hand in Hand gehen sollen.


An der "Goldenen Meile" herrscht ganztägig Bayernseligkeit: Engländer in Lederhosen probieren Gamsbarthüte, kichernde Japanerinnen umlagern die Jodelbären für 19 Mark 50, Kegelbrüder aus Wuppertal können sich nicht so recht entscheiden zwischen all den geschnitzten Parade-Bayern: Fesche Jager, kantige Holzhacker und gestandene Klosterbrüder, einer knorriger als der andere. Es riecht nach Schweinshaxe mit Kraut, aus dem Lautsprecher dudelt "Wildschütz Jennerwein" und eine Grupppe Neuseeländer versucht immer fröhlicher, Geschmacksunterschiede zwischen Enzian, Bärwurz und Bier-Schnaps herauszufinden. Ein murmelnder Menschenstrom schiebt sich durch die Einkaufsgasse von Schönau, hinunter zum Ufer des Königssee, wo die Elektroboote nach St. Bartholomä im 20-Minuten-Takt ablegen, seit 1909.

Im "Steinernen Meer", nur 15 Kilometer weiter südlich, regiert der Fels und die Stille. Verkarstete Spalten, schrundige Zacken, graue Geröllhalden. Nur der Wind pfeift, oder ein Murmeltier, die Sonne brennt, manchmal poltert irgendwo ein Stein in die Tiefe, den eine Gemse losgetreten hat. Hoch, ganz hoch oben zieht ein Adler seine Kreise, aus Steinritzen leuchtet gelb das Habichtskraut, und an glücklichen Tagen, sagt Lorenz Köppel, trifft man hier vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang keine Menschenseele.

Gemeinsam ist beiden Orten, dass sie Teil seines Arbeitsgebietes sind: Sie gehören, man glaubt es kaum, beide zum Nationalpark Berchtesgaden. Und in dem ist er als Ranger tätig.

Der einzige Alpen-Nationalpark Deutschlands wurde 1978 gegründet und umfasst, rund 15 Kilometer im Geviert, den südöstlichsten Zipfel Deutschlands samt Watzmann und Königssee: Steile Felswände, tief eingeschnittene Täler, strudelnde Bäche und dichte Wälder. Vom Ziel aller Nationalparks, die Natur sich selbst zu überlassen, ist er freilich noch ein ganzes Stück entfernt. Noch zeigt er sich als Landschaft im Umbau: Noch kümmern sich - mangels Bären und Wölfen - Jäger darum, die Zahl der Hirsche konstant zu halten, um den "Verbiss" an aufkommenden jungen Bäumen zu minimieren, noch wird mit den Almbauern, deren lichte Weiden auch weiterhin zum Landschaftsbild gehören sollen, über die Abgabe von Waldweiderechten verhandelt, noch werden am nördlichen Rand des Parks Bäume, die vom Borkenkäfer befallen sind, gefällt und geschält, um ein Ausbreiten der Schädlinge zu verhindern - kurz: noch beträgt die Kernzone, in der keine menschlichen Eingriffe mehr stattfinden, erst 68 der eigentlich geforderten 75 Prozent der Gesamtfläche eines Nationalparks. Naturschutz nicht mit der Brechstange, sondern im Zusammenwirken mit den Menschen, die hier leben und arbeiten - das dauert länger, wirkt aber nachhaltiger.

Doch nicht nur der Schutz der Natur ist Aufgabe eines Nationalparks. Sondern ebenso die Aufklärung, was seinen Wert ausmacht. Deshalb gibt es seit dem 9.9.1999 im Nationalpark Berchtesgaden eine Gruppe von "Rangern" - offiziell: "Mitarbeiter im Nationalpark-Dienst" -, zwölf Männer, die aus dem Kreis der Forstarbeiter rekrutiert und in mehreren Lehrgängen auf ihre Aufgabe vorbereitet wurden.

"Da konnst di ja nimmer unter'd Leit traun", sei einer seiner ersten Gedanken gewesen, sagt Lorenz Köster, als sein Chef Ernst Krüger ihn aufgefordert habe, mitzumachen. Mit Frotzeleien von Kollegen und Nachbarn müssen die Ranger leben: Ob sie denn nicht wieder "was Anständiges" machen wollten, "Spazierengehen" sei schließlich kein Beruf für ausgewachsene Männer. Mit Vertretern von Obrigkeit tun sie sich schwer, die Bewohner der Täler, die "eingnadigen" Querköpfe. Die Älteren erinnern sich noch voller Wut an die Zeit, als Reichsjagdmarschall Göring ihr Land zum Wildschutzgebiet erklärte und nur Passagierscheininhaber es betreten durften. 40 Jahre später wieder also Einschränkungen beim Klettern, Skifahren, Beerensammeln...?

"Spazierengehen" steht für Lorenz Köppel auch heute auf dem Programm: Sich den Wanderern als "kompetenter Gesprächspartner" anbieten - und zugleich nach dem Rechten sehen. Schritt für Schritt hinein ins hintere Klausbachtal, beim Blick zurück von der Bind-Alm zur Rechten die Ausläufer des Hochkalter, links der Kalenderfotoblick auf die silbernen Wände des Grundübelhorns und der Mühlsturzhörner: Ein durchaus passabler Arbeitsplatz. Ein junger Mann, ein Kind vor sich, brettert per Mountainbike über den Waldweg, der für Radfahrer gesperrt ist. "Du woaßt scho Bescheid, oder!" "Mei, der Bua brauchet hoit a bißl frische Luft!" Es ist ein Gastwirt aus Ramsau, man kennt sich, so früh am Morgen belästigt er keine Fußgänger. Eigentlich hätte Köppel als Forstschutzbeauftragter kraft Bestätigung polizeiliche Befugnisse, dürfte Personalien feststellen, üble Missetäter gar zur nächsten Polizeidienststelle "verbringen". "Viel wichtiger ist Fingerspitzengefühl", sagt der Mitvierziger mit dem offenen Gesicht. "Und gleichzeitig genügend Rückgrat." Denn noch immer gibt es die meisten Reibungspunkte mit Leuten aus der Gegend. Zwar ist Wildererei kein Volkssport mehr, Christbaumklau aber gilt für viele immer noch als Ehrensache. Hunde werden nicht angeleint, PKWs fahren ohne Erlaubnis in den Park - was schon auch mal eine Anzeige nach sich zieht. Und häufig dringen Skiwanderer in Gebiete vor, in denen Birkhühner nisten. Die Ranger versuchen das zu verhindern, indem sie andere Strecken freihalten.

Eigentlich sind "Präsenztouren" wie an diesem Morgen eher die Ausnahme. Tagtäglich fallen jede Menge Routinearbeiten an: Da ist ein zugeschütteter Weg freizuschaufeln, die Borkenkäfer in den Fallen sind auszuzählen, der Messzylinder einer Klimastation braucht ein neues Uhrwerk. Einer unternimmt heute mit den beiden Haflingern und ein paar Kindern eine Bergtour, der Kollege erklärt Besuchern in der Steinadlerausstellung, wie der König der Lüfte es fertigbringt, 1300 Gramm Fleisch in seinem Kropf zu verstauen, und einmal im Monat heißt es für alle: Hinauf in die Berge. Gamszählung!

Jeder der Männer hat sein Spezialgebiet: Geologie, Botanik, Vögel. Hans Kraft, gelernter Flugzeugtechniker, ist zuständig für Wasser in jeder Form. Mit dem Jeep geht es anderntags zum "Beprobungspunkt H6, Scharitzkehl", Wasserfläschchen füllen, Daten für wissenschaftliche Projekte erheben, die der Nationalpark unterstützt: Man will herausfinden, welchen Weg das Karstwasser durch die Berge nimmt und wie lange es unterwegs ist - große Trinkwasserreservoirs können hier oben angezapft werden, zur Zeit gehen gerade die letzten Almen ans Abwassernetz.

Auf die Pflicht folgt die Kür: Mit dem Boot geht es über den Königssee nach St. Bartholomä. An der passenden Stelle hält der Bootsführer, greift zum Flügelhorn - und da schallt es tatsächlich übers Wasser, hin- und hergeworfen zwischen den Wänden des Watzmann und des Hagengebirges, das legendäre "Echo vom Königssee". Einer der Kellner, die unterwegs zur Arbeit sind, gibt lautstark Trinkgeld, damit die Touristen merken, was Sache ist.

185 Meter tief ist der bayerische Fjord und hat Trinkwasserqualität, seit eine Pipeline die Abwässer des Gasthofs und der im letzten Jahr 600 000 Besucher aufnimmt. Ein Käsekuchen unter den Kastanienbäumen, ein Plausch mit Thomas Amort, dem Fischer, der gerade frische Renken in den Buchenrauch hängt, ein Spaziergang zur Saletalm, wo Sennerin Annemarie Schnid die schon wieder hungrigen Touristen mit Speckbroten versorgt - Sennerinnen sind groß im Kommen im Berchtesgadener Land.
"Wie lange brauchen wir zur Eiskapelle", wendet sich ein Ehepaar aus Dresden an Ranger Kraft. Wie gern hätten sie damals die Hochzeitsreise an den Königssee gemacht. Klappte nicht, jetzt, dreißig Jahre später, holen sie es nach. Und wollen, mit Blick auf das sandfarbene Uniformhemd mit dem Nationalpark-Emblem am Ärmel noch genauer wissen: "Sind Sie nun Polizist oder Förster?"
"Vor allem Auskunftsbeamter", lacht der Mann mit der Adlernase und dem schütteren Haar. Touristen stellen keine große Belastung für den Nationalpark dar, findet er. "Die Landschaft regelt das von selbst": Der Großteil meidet die höheren Lagen über 1600, 1700 Meter und bevölkert vornehmlich die Flecken am Königssee. "Da jodeln dann zwar hinter jedem Felsen irgendwelche Schulklassen hervor", aber Tiere, die sie erschüttern könnten, haben sich längst woandershin abgesetzt. Gelegentlich bleibt eine Menge Müll zurück - "... jaja, die Jugend", seufzt der Dresdener, ".. die hat gelernt, ihr Zeug mitzunehmen", stoppt Kraft das Lamento. "Die Älteren hinterlassen den Dreck. "

Weiter hinten am Obersee erstrecken sich wunderschöne Orchideenwiesen. Wenn sie blühen, herrscht Alarmstimmung unter den Rangern: Die Blumendiebe gehen um. Im vergangenen Jahr verfolgte Kraft durch den Feldstecher, wie eine ältere Dame neben einem Büschel prachtvoller Frauenschuhe den Rucksack abnahm, eine Plastiktüte auseinanderfaltete und in die Knie ging. Vorsichtig pirschte er sich an. "Was machen Sie denn da?" Erschrocken richtete die Frevlerin sich auf. Sie hatte auf dem Boden liegend - fotografiert. Mit der Plastiktüte als Unterlage.

Am weltberühmten Wallfahrtskirchlein von St.Bartholomä, vor den Souvenirständen und in der Gastwirtschaft drängen sich die Gäste. Nur hundert Meter weiter, auf einem kleinen Rundweg um die Halbinsel, ist fast niemand unterwegs. Dabei findet sich hier ein Bild, das den Grundgedanken des Nationalparks höchst anschaulich vor Augen führt: Der Luftdruck einer Lawine hat eine breite Schneise in den Wald geschlagen. Von zersplitterten Fichtenstämmen hängen Fasern, überdehnte Bäume krümmen sich schief, geknickte liegen kreuz und quer. Doch aus dem Durcheinander von Geäst und moderndem Holz schieben sich junge Buchen ins Licht, Tollkirsche blüht, Eberesche kommt auf, Bergahornsämlinge haben sich angesiedelt. Der Wald verjüngt sich aus eigener Kraft, die Natur holt sich ihr Gebiet zurück, eine Idee wird Wirklichkeit - aber wen interessiert das schon, angesichts der niedliche Puppe im Dirndl, der Lampe aus Berchtesgadener Salzkristall und einem Paar Weißwürst mit Senf?

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