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Nilbarsch bei Nefertari
Die Kreuzfahrt von Assuan nach Luxor wird zum Verwöhntrip in die Vergangenheit


Hercule Poirot ist nicht an Bord. Dabei wäre dies doch wahrlich das passende Ambiente für Agatha Christies Meisterdetektiv: Auf der dunkelbraunen Teaktäfelung und den grün-gelben Polstermöbeln spielt die Nachmittagssonne, weißgekleidete Kellner reichen Tee und Blätterteiggebäck, ein junges Pärchen, sie mit Kopftuch, legt eine Runde Domino, und draußen, hinter den fünf Breitwandfenstern der Lounge der "Oberoi Philae", läuft ein nicht endender Film: Palmen mit zerzausten Schöpfen werden abgelöst von Männern in hellblauen Gewändern an ockerfarbenen Hausmauern, die wiederum ersetzt werden durch grasige Inseln oder lange Schilfstreifen am Ufer, der ideale Landeplatz für Kinder in Weidekörbchen, man erinnert sich.

Ohnr Zweifel wäre die viertägige Reise von Assuan nach Luxor auch für einen lebenslustigen Genießer wie Monsieur Poirot ein Vergnügen. Andererseits würde das Superhirn sich möglicherweise langweilen: Einen "Tod auf dem Nil" haben wir an Bord nicht zu beklagen. Der einzige Anschlag auf die körperliche Unversehrtheit der Passagiere ist der Tatbestand der permanenten Überfütterung. Aber Kalbsgulasch mit Okra, Nilbarsch in Tomaten, Mangocharlotte und Limonenmousse sind, selbst in großen Mengen und bester Qualität gereicht, nun einmal nicht justitiabel - da ist keines der Opfer, das sich nicht freudig fügen würde.

Ob ihn diese andere knifflige Aufgabe, der "Fall Ägypten", reizen würde, bleibt dahingestellt. So oder so - die Arbeit bleibt ohnehin an uns, einem Grüppchen deutscher Journalisten, hängen.

Die Fakten: Nach dem 11. September 2001 fiel der Tourismus in Ägypten quasi aus dem Stand von hundert auf null. Über Nacht brach die wichtigste Einnahmequelle des Landes weg. 40 Prozent der Charterflüge wurden gestrichen. Die unberechenbare touristische Karawane hatte wieder einmal umdisponiert - ein Desaster wie nach dem Attentat von Luxor 1997. Die Regierung handelte, machte 33 Millionen Euro locker und zahlt den Gesellschaften, die weiterfliegen, bis zu 200 Euro für jeden leeren Sitz. Die Maßnahme greift, wenn auch zögerlich: Die ersten Vortrupps kommen zurück. Herauszufinden, ob sie das unbeschadet überstehen und was sie im Land erwartet - das ist unsere Aufgabe.

Die Strecke von Assuan nach Luxor ist 200 Kilometer lang. Die Reise in der eher gediegenen als aufregend luxuriösen Eleganz der "Oberoi Philae" dauert drei Tage und wird zu einem bildungsgesättigten Verwöhntrip in die Geschichte Alt-Ägyptens.

In Assuan ist der Nil nicht nur ein breiter ruhiger Strom, sondern, am ersten Katarakt, auch ein Gewirr von Wasserarmen zwischen Inseln und Steinblöcken. Mittendrin erhebt sich der Philae-Tempel. Erbaut wurde er in der griechischen Periode Ägyptens, etwa ab dem 3. Jahrhundert vor Christus - und steht doch erst seit 22 Jahren am jetzigen Platz: Wie zwei Dutzend anderer historischer Kleinode wurde er beim Bau des Assuan-Staudamms einfach abgebrochen und in acht Jahren hier neu errichtet - was kein Laie je erkennen würde. Im Tempel von Kom Ombo, drei Stunden flussabwärts und etwa aus der gleichen Zeit, gab einst ein Steinkalender den Priestern vor, welche Arbeiten wann zu verrichten waren. Andere Reliefs zeigen medizinisches Gerät, dessen genauen Gebrauch bei der Mumifizierung die Reiseleiterin ihren Zuhörern mit viel Freude fürs Detail ausmalt. Die Pylone des Horus-Tempel von Edfu wiederum, die gewaltigen Steintore, schimmern im Licht des nächsten Morgens rötlich und scheinen schräg nach hinten wegzukippen. So klein, der Mensch, so unbedeutend unter dem eingemeißelten Pharao, der hoch droben Feinde schlägt und beutelt - ganz offenbar ein Lieblingsmotiv vieler Könige.

Jede der riesigen Anlagen wartet mit Einzigartigkeiten auf, mit besonderen Geschichten, einem speziellen Licht. Und ganz allmählich schält sich, dank der erzählerischen Geschicklichkeit der Reiseleiterin, aus der Unübersichtlichkeit von 5000 Jahren Vergangenheit eine Struktur heraus, gliedert sich die Zeit in Altes, Mittleres, Neues Reich und eine Griechisch-Römische Periode, entschlüsselt sich angesichts der Hunderte von Reliefs mit Opfergaben und Königsbarken, wie diese Religion mit ihren subtilen Vorstellungen von einem Leben im Jenseits die Menschen fast dreitausend Jahre lang zu fesseln vermochte - und welche Fragen die Könige durch die Jahrtausende am meisten umtrieben: Womit übertrumpfe ich, bautechnisch gesehen, meine Vorgänger? Und wie stelle mich mit den Göttern gut?

Alle diese Orte sind Pilgerstätten des modernen Tourismus. Doch wo vor Monaten noch das Leben brodelte, herrscht jetzt wenig Aufregung: Drei, vier Busse stehen einsam auf den Parkplätzen herum. Reisegruppen verlieren sich im Halbdunkel der Säulenhallen, nur selten geraten sich die Führer mit ihren Erklärungen in die Quere. An den Ufern liegen die Kreuzfahrtschiffe in Dreierreihen vertäut, kein Einsatz für "Nile Beauty", "Nile Star", "Nile Splendor" und die meisten der fast 300 Nilkreuzer. Und fast scheint es, als sei in den Basaren schon so etwas wie Resigantion eingekehrt, angesichts der vergleichsweise milden Belästigung, der die Touristen ausgesetzt sind.

Dies ist die Stunde der Individualisten: Wer in Ruhe am Obelisk der Hatshepsut den 3500 Jahren nachfühlen will, die zwischen den formenden Schlägen des Steinmetzes damals und der Berührung mit der eigenen Hand liegen, ohne gleich rüde weitergeschubst zu werden, hat jetzt beste Chancen. Und er kann sich dabei, allen irrealen Ängsten zum Trotz, ziemlich sicher fühlen: Überall an den Touristenorten sind Polizisten in schwarzer Uniform mit MPs postiert, finden sorgfältige Taschen- und Leibesvisitationen statt, stehen kaugummikauende junge Männer ganz unauffällig herum, in Anzügen, die sich genauso unauffällig beulen.

Zwischen den Ausflügen ins Gestern geht das heutige Leben an Bord weiter: Abends verwandelt sich die Lounge in eine Disco, Manager und Oberkellner übernehmen die Animation, ägyptische Pärchen auf Hochzeitsreise, schwarzäugige Kinder und gesetzte Firmenmanager wetteifern mit Schreibern aus Deutschland um den Sieg im Flaschenweitergeben und machen beim Bauchtanz eine mehr oder weniger unglückliche Figur. Und zur Mahallabiyya auf dem ägyptischen Büffet, dem sahnigen Michreis mit Nüssen und Rosinen, fidelt der Stehgeiger, was die Saiten hergeben.

Am glücklichsten aber bleiben die Stunden auf dem eigenen Balkon, den jede Kabine hat: Fortgetragen vom Strom, dessen Farbe zwischen Flaschengrün und Jadeblau wechselt, zieht der verspiegelte, vor sechs Jahren gebaute Raddampfer vorbei an Kohl- und Kleefeldern, an Zuckerrohr und Zucchini, an Kindern, die Unkraut jäten und Eseln, die im Schatten dösen. Um Türme mit vielen Höhlungen flattern Tauben und mästen sich für ihre künftige Bestimmung als kulinarische Delikatesse, hoch oben kreisen Falken, und einmal treibt tatsächlich der Kadaver einer toten Kuh vorbei.

In der Steuerkabine thront im hellgrauen, knöchellangen Gewand Rais Achmed hinter seinen Griffen - das Schiff wird durch Propeller gesteuert. Das Echolot ist ausgeschaltet, Karten sind nicht zu sehen - wie will der Mann da Kurs halten? Der braungebrannte Nubier lächelt fein: Die Kapitäne des Nil sind auf dem Fluss großgeworden. Sie kennen ihn "by heart", instinktiv, aus Erfahrung, wissen, wie sich Grund und Strömung vom Sommer zum Winter verändern - und fahren "by heart" darauflos.

Abends aber zieht ein honigfarbener Mond über dem schwarzen Strom auf, und noch später blinken durch die kalte Nacht die Sterne des Orion, dessen Bild die Pyramiden auf der Erde angeblich nachstellen. "Bodenlos romantisch", murmelt eine feinsinnige Dame. Bodenlos romantisch.

In Luxor endet die Reise - ein Finale furioso in mehreren Sätzen. Sie endet im pathetischen Kitsch der "Sound & Light-Show" des Karnak-Tempel, der dem Gigantismus der Anlage, an der die Könige über 2000 Jahre bauten, durchaus angemessen scheint. Endet in der in den Himmel wachsenden Säulenhalle von Ramses II. und Sethos I., deren Boden einst mit Goldstaub bedeckt gewesen sein soll, und in der vom Umfang her der Kölner Dom Platz finden würde. Endet vor der einst drei Kilometer langen Allee der widderköpfigen Sphinge vor dem Luxor-Tempel und vor der Säule, in der sich der ansonsten unbekannt gebliebene unbekannte "Carlo Vidua Italiano 1820" in größter Sorgfalt verewigt hat.

Endet schließlich im Tal der Königinnen, im Grab der Nefertari. Und dort sind sie noch einmal versammelt, die wichtigsten der über hundert Götter, die die Reisenden den Nil hinunter begleitet haben: Da ist Thot, der weise Schreiber mit dem Ibiskopf, der ein andermal auch als Pavian auftritt. Osiris, der schwarze Totengott, steckt in seinem Mumienleib. Ra trägt seinen Widderkopf mit der Sonnenscheibe dazwischen. Maat, die Geflügelte, vertritt die kosmische Ordnung, Anubis, der Schakal, bewacht die tote Königin und Horus tritt diesmal ohne Falkenkopf, aber im Leopardenfell auf. Mitten durch diese Breitwandschau der Götter-Prominenz schreitet Nefertari, die Schöne, die vielgeliebte Gattin Ramses II., schreitet im weißen durchsichtigen Gewand, dann wieder im enganliegenden hohen Rock, trägt rote Bänder, goldenen Halsschmuck, wechselnden Kopfputz, geht barfuß oder in weißen Sandalen - eine prächtige Modenschau aus dem 13. Jahrhundert vor Christus hat sich hier erhalten, eine Bilderkammer, so leuchtend frisch und so schön wie nirgendwo sonst auf dieser Reise.

Der Nebel lichtet sich, der "Fall Ägypten" geht seiner Aufklärung entgegen. Morgen fliegen wir nach Kairo und Memphis. Reisen noch ein Stück weiter zurück in die Zeit. Zu den Pyramiden von Giza aus dem alten Reich. Den Masabas von Saqqara. Dem Statuenfriedhof von Memphis. Dorthin, wo vor rund 5000 Jahren alles begann. Auch dort soll es jetzt sehr viel Platz geben.

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