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Neues bei den Kroelle Boelle
"Bornholm für Genießer" - ein Update der dänischen Ostseeinsel


"Wir können auch anders!" Das müssen sich, so vor zehn, zwölf Jahren vielleicht, die Touristiker auf Bornholm gedacht haben. Und das hatte seinen Grund: Zwar funktionierte sie noch, die wundersame dänische Zauberformel "Ferienhaus-Fahrrad-Familienurlaub", die Jahr für Jahr die 45 000 Gästebetten füllte. Aber da gab es warnende Vorzeichen: Die romantische Burg Hammershus, der Balkastrand mit seinem Sanduhrsand, die berühmten wackelnden Felsen - all das machte manche Gäste plötzlich nicht mehr so richtig froh. Unterhalten wollten sie werden, öfter mal was Neues erleben, wünschten zu speisen statt zu spachteln. Und also beschlossen die Touristiker: "Es sollte doch mit den Kroelle Boelle zugehen, wenn es uns nicht gelänge, ein Touristenleben jenseits von Schollenfilet mit Pommes und handgezogenen Kerzen aufzuziehen. Gourmetfreuden, moderne Kunstpräsentation, inszenierte Naturevents - Leute, das kriegen wir hin!" Und also gingen sie ans Werk. Die Kroelle Boelle, die Inseltrolle, zeigten sich gnädig. Und heute präsentiert sich Bornholm ganz up-to-date als "Bornholm für Genießer". Bornholm für Genießer? Na, mal sehen. Höchste Zeit jedenfalls für ein, sagen wir, "Update" des 30 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten Granitfelsens 40 Kilometer südlich von Schweden, der sich im Sommer so aufheizt, dass im Herbst Pfirsiche, Maulbeeren und Feigen reifen.

Besetzt ist er übrigens immer noch mit Klippen, Wäldern, Wiesen und Mooren, geschmückt mit alten Rundkirchen und ockergelben und ochsenblutroten Fachwerkhäuschen, bewohnt von 45 000 Einwohnern, die nicht müde werden zu betonen, dass sie neben 450 000 Schweinen pro Jahr auch etwa die gleiche Anzahl Touristen versorgen. Und dass ihre Flüsse und Küsten dank eines flächendeckenden Abwassersystems trotzdem zu den saubersten Europas gehören.

Der Besuch auf dem gelifteten Bornholm beginnt zunächst freilich ganz klassisch: mit Frokost, einem kräftigen dänischen Mittagessen, im Landgasthof "Christianshoejkroen". Hausgemachter Johannisbeerhering mit mildem Wacholderaroma, in Roggenmehl panierte Salzheringe, Tartletts mit Schinken und Erbsen und hinterher "Bornholmsk bleu med rugkiks", der preisgekrönte St. Clement-Käse mit blättrigen Roggenkeksen von der Insel - dazu der Aquavit, der nach dem dritten Glas erst richtig schmeckt und den Feingeist im Besucher weckt. Zeit somit für das neue Kunstmuseum.

"Auch wir können anders", maulten die Bewohner Bornholms, als Anfang der 90er Jahre die Planungen für das Museum bekannt wurden und sammelten 15 000 Unterschriften gegen den Bau. Sie taten sich mal wieder schwer. Sie tun sich immer schwer mit Neuem, wie damals, 1952, mit dem Wasserturm des Joern Utzon in Svaneke, der die Form einer Landmarke hat. Als Utzon dann das Opernhaus in Sidney baute, wurden sie sehr stolz auf den Wasserturm. Hinterher sind sie meist stolz, wenn man nicht auf sie gehört hat.

Und also bauten die Inselväter und -mütter auch diesmal trotzdem, weihten 1993 ein, und heute haben mehr oder weniger alle ihren Frieden gemacht mit dem weißgetünchten, stufig an den Hang geschmiegten Ziegelbau samt Turmstumpf, den die Architekten Johan Fogh und Per Foelner ihnen zugemutet haben. Wie ein weißes Felsband mutet er an, und vor allem im Inneren wirken die die weißen Wände wie eine Fortsetzung der schroffen Helligdomsklippen draußen, eine weitere Schlucht zum Meer hin, durch die wie ein kupferschimmernder Faden das Rinnsal einer alten Quelle rieselt. All den Künstlern, die hier ausgestellt sind, hatte es irgendwann das berühmte Bornholmer Licht angetan: Da ist Holger Drachmann, der das Meer zelebriert. Karl Isakson, Michael Ancher und andere, die es in der hohen Kunst des Klippenmalens zu einer gewissen Meisterschaft gebracht haben. Und natürlich Oluf Hoest, der Lokalmatador, der gar zu gern Feuer und Flammen malte und deswegen eine spezielle Verabredung mit der Feuerwehr getroffen hatte: Wann immer es brannte, sagten sie ihm Bescheid.
Nicht zu vergessen die Sammlung von Glas und Keramik, die bis in die Gegenwart reicht - aber Moderne hin, Moderne her: Auch heute noch wäre kein Besuch auf Bornholm komplett ohne ein anderes Stück Tradition: Den Bornholmer. Den aus dem Meer. Den Bückling.
Früher einmal hatte fast jedes Haus seine eigene Räucherei. Acht davon sind übriggeblieben, die in Hasle ist die schönste. Doch davor steht die Fahrt quer über die Insel. Wie rauchige Säulen ragen Bäume aus dem flachen Land in den weiten Himmel. Wildkirschen, Waldanemonen und weißer Bärlauch feiern den Frühling. Und da ist immer wieder einer der ominösen "Grüss-Steine", dem Reverenz zu erweisen ist, wie überhaupt der Bornholmer, zumindest der im touristen Gewerbe, dauernd damit beschäftigt ist, all die über- und unteridisch tätigen unsichtbaren Wesen zu besänftigen, die während der letzten Jahre sicher besonders aufgebracht waren, weil sie sich plötzlich, kaum zu glauben, mancherorts den Platz mit leibhaftigen Zuchtstraußen teilen mussten.

Früher gab es den geräucherten Hering in Zeitungspapier auf die Hand. "Aber wir können auch anders!" beschlossen die Leute in Hasle. Und also finden sich auf den blanken Holztischen Holzkästchen mit rosafarbener Lachsforelle, saftiger Pfeffermakrele und goldbraun glänzenden Tieseekrabben, alle nach frischem Rauch duftend. Goldgerunzelt liegt der Bückling auf dem Pappteller, dazu Roggenbrot, grobes Salz und ein frisches Eigelb - die einzige Frage, mit der sich der Gast nach dem dritten Aquavit herumschlägt, ist, ob er soviel gegessen hat, um zu trinken. Oder umgekehrt. Und, ach ja, ob der Bückling wohl ein echter Bornholmer war: Den Großteil der Heringe liefern inzwischen Fischer aus dem Baltikum an. Was aber eigentlich keinen Unterschied macht.

Hinterher etwas Süßes vielleicht? Aber ja - und schon steckt der Besucher wieder mitten im "Wir-können-auch-anders-Bornholm". In Snogebaek wartet Peter Braestrup mit dem Dessert. In dem kleinen Laden mit eingezogene Balken duftet es ein wenig herb nach Kakao. Der junge Hausherr - "zum Anbeißen süß", findet eine Kundin - , werkelt an großen Blechen. Das, was er fabriziert hat, thront auf kleinen Tabletts in der Vitrine: "Nougat Knas, Pistacie, Kokos Tap, Mocca Marcipan" - Trüffeln vom Feinsten. "Wir nehmen nur edle Schokolade aus Belgien, dazu Nougat, Marzipan und Liköre. Und wir produzieren so, dass die Leute dabei zusehen können."

Die Straße hoch versucht sich ein weiterer Bornholmer im Gourmet-Geschäft: Thorkil Boisen arbeitete zehn Jahre lang als Biologe im Büro des Umweltministeriums. Dann hatte er die Faxe dick, entsann sich seiner Wurzeln - seine Großeltern betrieben eine Molkerei -, setzte sich eine rot-weiße Mütze auf und begann, Eis zu machen. "Oekologisk is med bornholmsk accent" nennt sich das, und auch ihm kann man zusehen, wie er zermatschte Himbeeren und Milch in die Maschine kippt und die herausquellende Masse in Behältern auffängt. Sehr aufregend ist das nicht, aber das Ergebnis schmeckt. Ökologisch? Die Himbeeren, Johannisbeeren und Brombeeren kommen von der Insel. Mit der Milch freilich gibt es ein Problem: Von den einst 13 Molkereien Bornholms ist eine einzige übriggeblieben - die der Großkäserei St. Clement. Und also bezieht Thorkil gezwungenermaßen seine Milch in Ein-Liter-Kartons - was gesamtökologisch gesehen bestimmt Fragen aufwirft. Aber er kann derzeit nun mal nicht anders.

Was mit denen passiert, die sich so der Völlerei ergeben, lässt sich passenderweise bei einem letzten Besuch im klassischen Bornholm studieren: In der Rundkirche von Oesterlar. Auf dem Fries im Mittelpfeiler öffnet sich der Höllenschlund wie ein großes Walfischmaul, der Teufel mit Struwelpeterfrisur sitzt grinsend davor und betrachtet zufrieden die zusammengekettete Horde armer Sünderlein - ein paar Mägde auch darunter -, die von einem Hilfsteufel mit dem Hammer in den Orkus getrieben werden.

Dann doch lieber schnell wieder in die freie Natur. Oder in das, was sie daraus machten, als sie so vieles anders machten.

Auch "NaturBornholmen" war eines der Projekte, auf das die Bornholmer zunächst eher bockig reagierten. Und auch bei "NaturBornholmen" setzten die Inselväter und -mütter ihren Kopf durch. Am 17. Mai 2000 wurde "NaturBornholmen" eröffnet, entworfen von Henning Larsen, erbaut für umgerechnet 10,5 Millionen Euro. Wie ein ein abweisender, schwarzgrauer Bunker ragt es aus den blühenden Wiesen. Aber die Fassade besteht aus "Gabionen", Granitbrocken, die in Drahtkörbe verpackt sind - und also löst sich beim Näherkommen der Eindruck der Unzugänglichkeit allmählich auf.
"NaturBornholmen" ist kein Museum. Sondern ein Erlebniszentrum, das den Besucher einsaugt. Auf dem Laufband gleitet er in eine geologische Geisterbahn, in der Magma brodelt, Nebel wabern, Sonnen glühen. Äonen ziehen in der Zeitmaschine auf drei Leinwänden vorbei, eine Reise zurück in die Vergangenheit, als Bornholm nacheinander Gebirgszug, Wüste, Meeresboden, Lagunenküste und Eisplatte war. Farnbäume und Dinoeier erinnern an das Jura, eiskalt wird es in der Eiszeit und im Raum der frühen Kreidezeit tummeln sich höchst lebendige Schildkröten und Krokodile. Die Ausstellung über die unterschiedlichen Landschaften der Insel im "Sensorama" verweist immer wieder darauf, wo man bestimmte Gesteinsarten, geologische Formationen oder Pflanzen im wirklichen Bornnholm antrifft. Und in der Erlebnishalle lassen Kinder per Knopfdruck Tiere aussterben oder überleben, backen Sandstein, fliegen mit den Kranichen und fühlen den "Puls der Zeit" - nicht ohne Grund gelten die Dänen als Pioniere des erlebnisorientierten Lernens in Europa.

Neben der Begeisterung weckt das stundenlange Herumspielen freilich noch ein anderes Gefühl: Hunger. Doch nur Geduld: Besonders gut Ding will extra Weile haben. Und das Ergebnis lohnt die Fahrt nach Roenne ins Restaurant "Di 5 Stauerna" allemal.
Nach Entenleberparfait mit in Ingwer angemachten Pfifferlingen, Rehfilet auf Kürbispüree mit Thymianjus und honigglasierten Heidelbeeren, gebackener Birne in Holunderbeeren an Apfelsinencreme und Birneneis, beim "Gamle Dansk" am flackernden Kaminfeuer, im Ohr das Rauschen des Meeres vor dem Fenster - da ringt sich der Besucher endgültig zu einem klaren Urteil durch: O doch. Sie können auch anders. Sie können sogar edel. Sie können perfekt.

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