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Erich Follath "Himmelbett und Höllenangst"

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht...? O doch. Irgendwann müssen auch sie sich entspannen, die Diplomaten und Revolutionäre, die Warlords, Waffenhändler und Reporter. Dann verlangt es sie nach einem halbwegs sicheren Ort, an dem sie ihre müden Knochen ausstrecken können, nach einer heißen Dusche, kühlem Schampus und einer schönen Dame, die ihnen das Bett aufschlägt. Sie wollen ins Hotel.

Im "Havanna Hilton" verführt Fidel Castro nach seinem siegreichen Einzug die Deutsche Marita Lorenz. Im "Continental" von Saigon speisen die Nachrichtenhändler des Vietnamkriegs Poulet á l'éstragon. Im "Peace" in Shanghai, dem ehemaligen "Cathay", bereitet 1965 Maos Viererbande die Kulturrevolution vor. Heute kann man vom Restaurant im 8. Stock dabei zusehen, wie gegenüber das futuristische Viertel Pudong in den Himmel wächst.

12 solcher Häuser aus aller Welt beschreibt Erich Follath. Luxusschuppen wie das "Adlon" in Berlin oder das "Peninsula" in Hongkong sind darunter - eine ehemaliger Stern-Korrespondent und heutiger Spiegel-Autor muss nicht mit Spesen geizen. Er sieht aber trotzdem genau hin, was er fürs Geld bekommt: Wie fallen die Drinks aus, was kann die Küche und wie schafft es ein Mann wie der Allgäuer Kurt Wachtveitl, seit über 30 Jahren die tausend Angestellten seines "Oriental" in Bangkok so zu motivieren, dass sie jedem Gast täglich das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein. Jedes Haus erhält am Ende ein Zeugnis mit des Autors persönlicher Wertung: Sterne für den Nostalgie-, Luxus-, Wohlfühl-, Preis-Leistungs- und Adrenalinstoßfaktor.

Man sieht: Luxus ist nicht Follaths wichtigstes Kriterium - das "Green's" in Peschawar könnte dabei sicher nicht mithalten. Ihm geht es um Hotels, in denen die Geschichte einer Region sich verdichtet wie im Brennglas. Und die erzählt er, gründlich und doch kompakt, aufregend und anschaulich. Fast immer gelingt es ihm, sie mit persönlichen Begegnungen zu verbinden: Er interviewt den neurotischen Matthias Rust, der mit seiner Landung in einer Cessna auf dem Roten Platz, nur hundert Meter vom gigantischen "Rossija" entfernt, die Verletzlichkeit der Weltmacht UdSSR demonstriert hatte. An Begegnungen mit Jassir Arafat und Menachem Begin erinnert ihn das "King David" in Jerusalem. Im heruntergekommenen "Oloffson" in Port-au-Prince lernt er Aubelin Jolicoeur kennen, den Vertrauten der Duvalier-Familie, unsterblich geworden durch Graham Greenes "Die Stunde der Komödianten". Richard Holbrooke, der Bosnien-Unterhändler, erzählt ihm vom Sylvesterabend 1992 im "Holiday Inn" in Sarajewo. Noch anrührender freilich sind dort die Begegnungen mit Menschen, die während der 1395 Tage dauernden Belagerung ihren Nachbarn Mut machten, jeder auf seine Weise: Der Musik-Professor, der Erfinder, die Illusionistin.
Fazit: Aufgeschlagen. Gelesen. Blendend unterhalten. Dazu ein paar weiße Flecken auf der Karte "Weltgeschichte" getilgt. Ein großes Reisebuch.

Erich Follath "Himmelbett und Höllenangst", Picus 2003

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