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Wolfgang Büscher "Deutschland, eine Reise"

Der Sommer schwindet, da macht er sich auf den Weg. Vor drei Jahren brach Wolfgang Büscher schon einmal auf, marschierte 82 Tage und landete mit seinen Aufzeichnungen "Berlin - Moskau" einen hochgelobten Bestseller.

Jetzt ist er wieder unterwegs, fast immer zu Fuß, gelegentlich auch im Bus und der Bahn: Start Rheinkilometer 852, einmal rund um Deutschland. Und möglicherweise sind seine Beobachtungen und Reflexionen, das poetische Destillat vieler einsamer Monate in verschneiten Wäldern, unwirtlichen Fußgängerzonen und abgewetzten Pensionszimmern diesmal sogar noch treffender, erhellender und aufregender ausgefallen.

Bei Emmerich schwimmt er über den Rhein und dringt nach Norden vor. Leer, Helgoland, Wismar - "kalt, klar und schön auf eine Art, die ich nur aus östlichen Städten kannte". Er tastet sich in die Abrissblocks von Eisenhüttenstadt, erlebt die trostlosen "Mädchenhütten" im tschechischen Dubí und erhält in Altötting tief berührende Lektionen in Sachen Katholizismus. In Finsterau geht er im Schnee verloren, in Freiburg fordern ihn die Geister der eigenen politischen Vergangenheit. Manchmal wird er erwartet, von einem Baron im bayrischen Wald oder dem Bildersammler von Passau, meist aber bleibt er "der einzige, ewige Gast" in trüben Grenzspelunken oder auch mal einem Luxushotel.

Und er sammelt. Leidenschaftlich: Sonnenuntergänge. Sagen. Kneipen. Phantasien. Vor allem aber Begegnungen: Sister Swan aus Missouri, die gekommen ist, den Deutschen das Heil zu bringen. Der Bergmann im Stollen von Deutscheinsiedel, der seinen Buttermilchgetzen mit ihm teilt. Ein zurückgelassener Kassettenrekorder im verfallenen Haus, der Abschiedsworte ausspuckt. Die Hüttenkönigin am Spitzigsee und die wilden Klausen von Oberstorf. Im letzten Weiler eine Welt, jede Dorfkneipe ist Deutschland. Büscher, der erfahrene Reporter hat ein Ohr für knackige Dialoge, ein Auge für bestechende Bilder und einen Sinn für haarsträubende oder ergreifende Geschichten. Vor allem aber verfügt er über den Kopf, seine Eindrücke mit Wissen zu unterfüttern, dass sie nicht nur glanzvolle Oberfläche bleiben.

Denn da ist immer wieder die deutsche Geschichte, die den Wanderer gar nicht einholen muss, weil sie stets schon da ist: In den Aufzeichungen des Inselarztes von Helgoland, den Erzählungen der alten Frau über die Bombardierung Swinemündes, den Berichten über Karl Weihe, Henker im Konzentrationslager Flossenbrüg.
Der Wanderer lauscht, beobachtet, notiert. Und schreibt eines der schönsten Bücher dieses Herbstes.

Wolfgang Büscher "Deutschland, eine Reise", Rowohlt 2005


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