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Bruce Chatwin - eine Biographie

Bruce in Shorts unterm Palmendach, Bruce neben afghanischen Nomaden, Bruce mit dem Rucksack sinnend in irgendeiner Wüste - so setzte er sich am liebsten in Szene. Und zehn Jahre lang hatte die Legende von Bruce, der reisenden Edelfeder mit dem empfindsamen Gemüt auch Bestand.

Nun aber ist die Mammut-Biographie des englischen Schriftstellers Nicholas Shakespeare in deutscher Übersetzung erschienen. Und siehe da: Der Bruce-Lack ist ab. Der ungeschminkte Chatwin kommt zum Vorschein: Ein Schwadroneur, ein Besserwisser, ein gefühlskalter Egomane, der seine Frau monatelang sitzen und weltweit eine Spur der Verärgerung zurück ließ: Australische Aborigines beschuldigten ihn, ihre Kultur geplündert zu haben, Wissenschaftler ziehen ihn des Eklektizismus, Kritiker warfen ihm politische Blindheit vor.
Erstaunlich genug aber waren es oft dieselben, die seinen wachen Intellekt, seinen Enthusiasmus und seine enorme Belesenheit priesen und gar nicht genug bekommen konnten von seinem Charme, den er im Nomadenzelt wie in Londoner Salons gleichermaßen einzusetzen wusste. Der "golden boy" wirkte immer magnetisch und abstoßend zugleich.

Und wie der Mann reiste! Mit welcher Zähigkeit er, ein ausgewiesener Hypochonder, tagelange Fussmärsche durch Afghanistan, Brasilien, Kamerun zurücklegte. Mit welcher Dreistigkeit er bei Freunden auf der ganzen Welt einfiel und nie auch nur einen einzigen Teller vom Tisch räumte: Heute hier, morgen dort, der erste Vagabund im global village.

Acht Jahre lang fuhr Nicholas Shakespeare auf Chatwins Spuren durch alle Kontinente. Er sprach mit über 500 Zeitzeugen und erhielt Einblick in Tagebücher und Briefe. Das Ergebnis rechtfertigt jede Mühe: Das Buch beinhaltet Unmengen an Material, es ist lebendig geschrieben und hält bei aller persönlichen Sympathie genügend Distanz zur Hauptperson: Weder schwenkt der Autor das Weihrauchfass unter der Ikone, noch greift er zur Axt. Stattdessen verwandelt diese sich unter seiner Hand in das facettenreiche Porträt einer überaus widersprüchlichen Persönlichkeit.

831 Seiten. So viele prominente Liebhaber, prächtige Gemälde, staubige Schuhe; all die hochfliegenden Ideen, der Klatsch, die offenen Toilettentüren - wollten wir es so genau wissen? O ja, wir wollten: Leserinnen und Leser sind allemal Voyeure. Doch nun ist es gut. In Sachen Chatwin keine weiteren Fragen mehr.

- Nicholas Shakespeare "Bruce Chatwin - Eine Biographie", Kindler 2000
- Susannah Clapp "Mit Chatwin", Hanser 1998
Fischer TB 2000

Die Bücher von Bruce Chatwin:
- "In Patagonien", Rowohlt 1998
- "Der Vizekönig von Ouidah", Rowohlt 1982
- "Auf dem schwarzen Berg", Claasen 1992, Fischer 1999
- "Traumpfade", Hanser 1990, Fischer TB 1999
- "Utz", Fischer TB 1998
- "Was mache ich hier", Hanser 1991, Fischer TB 1998
- "Der Traum des Ruhelosen", Hanser 1996, Fischer 1998
- "Wiedersehen mit Patagonien (zus. mit Paul Theroux), Hanser 1992, Fischer 1995
- "Verschlungene Pfade" (Fotografien), Fischer TB 2000

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