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Paul Theroux "Mein anderes Leben"

Da tanzt einer auf zwei Bühnen, kommt nur selten ins Straucheln und wird im einen wie im andern Haus eifrig beklatscht: Paul Theroux ist ohne Zweifel ein begabter Schriftsteller und ein Glückspilz dazu, gefeiert als Autor von Reisebüchern über Ozeanien, Südamerika und die Küsten des Mittelmeeres etwa, aber auch von Romanen wie "Mosquito Coast" oder "Kowloon Tong" - Fiktion, die gleichfalls satt getränkt ist von seinen Erfahrungen in fremden Ländern.

Nun möchte der selbst gelegentlich reisende Leser natürlich nichts lieber wissen als: Wie geht es dem Globetrotter, wenn er zuhause ist? Wie bereitet er seine Reisen vor? Was hielt Mrs. Theroux davon, wenn ihr Mann monatelang unterwegs war? Und was sagten die Kinder?
Klar, dass er zugreift, wenn Paul Theroux einen "autobiographischen Roman" veröffentlicht. Autobiographisches - das ist immer ein Versprechen an den Voyeur im Leser: Komm gucken! Doch diesmal bleibt er am Ende unzufrieden zurück.

Denn "Mein anderes Leben" ist eine Sammlung von wirklichen und ausgedachten Episoden vor allem aus Theroux' Schriftstellerleben - vom Reisen ist nur selten die Rede. Zu entscheiden, was Biographie ist, und was Wunschphantasie oder Alptraum, ist dabei ganz ins Belieben des Publikums gestellt.
Zudem erinnert die Aneinanderreihung von Geschichten ein wenig an das Aufräumen eines Zettelkastens: Da sind noch ein paar Anekdoten, die zwischen Buchdeckel müssen, wie jene bizarre Szene, in der Anthony Burgess einen Verehrer fertigmacht, der ihm zu nahe auf die Pelle rückt. Rüffel müssen verteilt werden, an all die hässlichen, aufdringlichen, schlecht angezogenen Journalisten etwa. Und auch ein paar Rechnungen stehen noch offen, wie die mit jener einstigen Geliebten, die ihre mickrige kleine Person so was von um die Ohren gehauen kriegt.
Klar: Theroux "liest sich gut". Ob das Leprosorium in Malawi, die müde Literatenszene Londons oder ein Dinner mit Queen Elizabeth - die Kulissen stimmen, die Szenen sind perfekt ausgeleuchtet, es riecht und regnet und die Dialoge kommen auf den Punkt.

Was dem Bestsellerautor aber abgeht, ist jene Gnadenlosigkeit im Umgang mit sich selbst, die große Schriftsteller auszeichnet. Theroux zieht es vor, sich bedeckt zu halten. Und also findet der Leser keinen Grund, jenes Bild zu korrigieren, das er sich nach der Lektüre der Reisebücher vom Autor gemacht hat: Das eines Getriebenen, der gar nicht so genau weiß, was er da draußen eigentlich soll. Eines Eigenbrötlers mit einer schon fast pathologischen Aversion gegen Touristen, und einer nur mühsam als Ironie getarnten Abneigung gegen den Großteil der Leute, denen er begegnet. Ein belesener Misanthrop auf Reisen.
Seine Ehe, erzählt Theroux, ging in die Brüche. Doch sowie jemamd unüberhörbar "Warum?" ruft, lässt er den Vorhang fallen, in den psychoanalytischen Sitzungen gleichermaßen wie im Buch. Das ist der Standortvorteil des Erzählers. Er bestimmt die Regeln. Das Recht des Lesers aber ist, wenn er mittels eines trügerischen Plakats ins falsche Theater gelockt wird, am Ende des Stücks kräftig zu pfeifen.

Paul Theroux "Mein anderes Leben" Hoffmann und Campe 2000

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